* 4. Mai 1905
† 24. September 1960
von Florian Scheding
Essay
Seibers Schaffen scheint die einflussreichsten Formen, Techniken und Stile westlicher Kunstmusik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – Neoklassizismus, Jazz, Atonalität, Zwölftönigkeit und Reihentechnik – in sich zu vereinen. Aufgrund seiner Vielseitigkeit haben manche Autoren behauptet, dass Seiber die Stile seiner Zeit versiert reproduziert habe, ohne einen Personalstil zu entwickeln. Diese Hypothese muss zurückgewiesen werden, indem man die aus ökonomischen Gründen und für didaktische Zwecke geschriebenen Werke von denjenigen seriöser Kunstmusik abgrenzt. In seinen „more ‚abstract‘ works“ (Seiber 1959, 9) zeigt Seiber sich als innovativer Komponist, der der zeitgenössischen Musik verbunden war und – zumindest in Hinblick auf seine frühen zwölftönigen Werke – der Neuen Musik zuzurechnen ist.
Die Mehrzahl der Jugendwerke aus Seibers Zeit am Franz Liszt-Konservatorium in Budapest sind unveröffentlicht. Sie umfassen zwei- und dreistimmige Inventionen für Klavier (1922/23) und eine Missa brevis (1924), die auch als Kontrapunktübung verstanden werden kann, und zeugen vom Bestreben des Lehrers Zoltán Kodály, dass jeder Schüler sich „das reiche Erbe westeuropäischer Musik, das Beste aller Zeiten […] eigen zu machen“ habe (Kodály 1983, 255). Dem Beispiel Kodálys und Bartóks nacheifernd finden sich auch Bearbeitungen ungarischer Volksmusik wie Három magyar népdal [Drei ...